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Fata Morgana Was für eine
melodische und klangvolle Buchstabensymphonie. Wie mystisch,
märchenhaft und fremd zugleich. Ein Wortgefüge wie ein orientalisches
Versprechen. Eine Illusion, ein Traum. In Gedanken sehe ich ein buntes
Bild vor mir. Flimmernde Hitze und heisser Wüstensand, der vom Wind
gepeitscht sich zu Dünen formt. Mitten drin eine Oase mit Palmen und
ein nie versiegender Brunnen. Im dürftigen Schatten sitzt eine Gruppe
verschleierter Menschen in weisse Gewänder gehüllt. Sie schützen sich
so vor Sonne, Wind und Sand. In der Nähe der Menschen verweilen in der
prallen Sonne ihre Tiere, ein paar Ziegen und ein Esel, der im Stehen
schläft. Ich sehe Beduinenzelte, die Eingänge dürftig mit Tüchern
verhängt, aber im Innern der Boden mit farbenfrohen Teppichen
ausgelegt. Fleissige Frauenhände haben sie gearbeitet und ihre
Geschichten miteingeknüpft: Schicksale, Tränen, Trauer, doch auch
glückliche Gedanken.
Im schummerigen Licht einer Petroleumlampe, in der hintersten Ecke vom Zelt, hockt im Schneidersitzt eine Kaffeesatzleserin in einem Berg bunter Kissen. Winzige Porzellantässchen stehen vor ihr, auf dem Tischchen mit dem fein ziselierten Messingblatt. |
Ein schwarzer
Schleier, mit goldenen Pailletten am Rand, umrahmt das Gesicht der
Frau. Ihre lebhaften und stark geschminkten Augen blicken mir neugierig
entgegen. Eine seltsame Magie geht von ihr aus und nimmt mich gleich
gefangen. Sie winkt mich heran, und bei der Bewegung klingen hell die
feinen Reifen an ihren Armen. Seltsam anmutender Musik ist im Zelt zu
hören, von Flöten, die traurig zu rythmische Trommelklängen wimmern. In
der Luft hängt ein Schleier von Rauch der Wasserpfeifen, nach Minze und
Melone riechend. Alles das löst in mir eine eigenartige Verzauberung
aus.
»Salam« sagt Aicha mit rauchig dunkler Stimme. »Komm näher und trink mit mir Kaffee, ich werde aus dem Satz deines Kaffees deine Geschichte lesen«. Etwas befangen gehe ich zum Tischchen und setze mich ihr gegenüber, wie sie im Schneidersitz, und ich harre der Dinge die da kommen mögen. »Trink aus« fordert Aicha mich nochmals freundlich auf. Ich schlürfe den starken und sehr süssen Kaffee, vorsichtig achtgebend, nicht den Satz aufzuschwemmen. Aicha beobachtet mich aufmerksam und sagt: »drehe jetzt das Tässchen um und lass den Satz auf den Teller fliessen. Dann stelle es umgekehrt auf den Teller zurück« Ich mache alles wie befohlen. Dann nimmt sie meine Tasse und besieht sich konzentriert die Zeichen, die, wie es scheint, der Kaffeesatz hinterlassen hat. Ich bewundere ihre Hände, sie sind mit Henna bemalt, mit Blumenranken und Ornamenten. Wunderschön! Erwartungsvoll warte ich, bis Aicha zu reden beginnt. Dann beginnt sie leise und eindringlich zu erzählen, und schaut mich zwischendurch immer wieder prüfend an. Was sie mir sagt, trifft genau zu. Sie erzählt von vergangener und aktueller Zeit in meinem Leben, als wäre sie selber dabei gewesen. Ich spüre Hühnerhaut. Wie kann sie das alles wissen? Wie durch Watte höre ich ihrer weichen, eindringlichen Stimme zu. Ich kann gar nichts erwidern, nicke nur zustimmend und bin betroffen. Sie beschreibt Lebensmomente, die ich schon längst vergessen habe. Aicha bemerkt meine Betroffenheit. Sie legt freundschaftlich ihre Hand auf meinem Arm und sagt: »Du hast alles richtig gemacht und wirst es auch weiterhin richtig machen, du bist eine starke Frau« Diese abschliessenden Sätze beruhigen mich. Und für mich bleibt die Frage, ist Kaffeesatzlesen eine Illusion, oder Realität? Eine Fata Morgana vielleicht? Trotzallem, und das ist das Wichtigste, ich habe fast ein wenig an Sicherheit gewonnen. |