Meine Zukunft als Eisprinzessin

An jenem Weihnachten hatte ich nur einen Wunschzettel an das Christkind: weisse Schlittschuhstiefel. Keine einzige Gelegenheit liess ich aus, um darüber zu sprechen, schon lange vor Weihnachten. Mutter musste es längst verstanden haben, dass nur dieses eine Geschenk mich glücklich machen konnte. Nicht nur ihr lag ich damit in den Ohren, ich schloss den Wunsch auch täglich in mein Gutnachtgebet mit ein. Im Traum sah ich mich dann als Eislaufprinzessin, mit weissen Schlittschuhstiefel in kurzem Röckchen Pirouetten drehen und mit eleganten Sprüngen übers Eis tanzen.

Damals besass kaum ein Kind Schlittschuhstiefel. Die Kinder begnügten sich mit eisernen Kufen, die an den Schuhensohlen festgeschraubt wurden. „Schraubendampfer“ nannte man sie verächtlich. Es gab auch noch keine Kunsteisbahn. Man lief Schlittschuh auf dem Tennisplatz, der nachts mit Wasser bespritzt wurde, das dann gefror. Spiegelglatt waren die Eisflächen nie, sondern höckrig und uneben. An einen eleganten Laufstil war nicht zu denken. Es holperte und polterte über die vielen Bodenwellen. Fuhr man zu forsch drauflos, musste man damit rechnen, dass es einem die angeschraubten Kufen von den Schuhen weg schlug. Darum montierte mir Grossvater die Dinger schon zu Hause an meine derben ledernen Skischuhe, und hängte sie mir an den zusammengeknüpften Schuhbändeln um den Hals.

Aber dann wurde in unserer Stadt eine Kunsteisbahn gebaut. Nun war das Eis fein und spiegelglatt. Bildeten sich erste Rillen, mussten die Schlittschuhläufer nur für kurze Zeit vom Eis. Eine grosse Hobelmaschine kam dann gefahren und stellte im Nu wieder eine perfekte Eisfläche her. Die eine Hälfte der Eisfläche war für die einfachen Läufer abgetrennt und die andere für die Hokeyspieler. Man drehte sich zu schnulziger Schlagermusik aus dem Lautsprecher, immer im Kreis herum. Wildes Durcheinanderlaufen war verboten. Für elegantes Tanzen auf dem Eis war kein Platz und mit den Schraubendampfern sah es auch nicht annähernd prinzessinnengleich aus. Ich konnte mich noch so sehr bemühen, ich handelte mir nur Spott ein. Wie beneidete ich die Mädchen, die in weissen Stiefeln liefen. Nur, bei uns zu Hause fehlte das Geld für solchen Luxus.

Endlich war Heiligabend da. Nie mehr in meinem Leben wartete ich so ungeduldig auf den Moment, bis uns Kindern die Erlaubnis erteilt wurde die Geschenke auszupacken. Sogleich stürzte ich auf eine grosse quadratische Schachtel zu, die ich längst unter dem Baum entdeckt hatte. An der Schachtel hing ein mit Glitzer verzierter Anhänger, auf dem mit Goldstift geschrieben stand »dem lieben Yvonnchen«. Ich war ganz aufgeregt und ausser mir vor Vorfreude. Meine Wangen glühten. Ich riss ungeduldig das Papier von der Schachtel und hob erwartungsvoll den Deckel ab.

Durch mehrere Lagen Seidenpapier wühlte ich mich ins Innere vor. Aber was ich auswickelte waren nicht meine erträumten weissen Stiefel, sondern braune Bubenschlittschuhe! Noch nie hatte ich so grässliche Schlittschuhe gesehen. Ich erstarrte und mein Jubelschrei blieb mir im Hals stecken. Unter Tränen stammelte ich unglücklich „Aber doch keine braunen!“

Enttäuscht legte ich die Bubenstiefel langsam in die Schachtel zurück und stellte alles wieder unter den Baum. Ich wollte sie nicht haben. Mutter stand stumm da und wusste nichts zu sagen. Dann tröstete sie mich und hatte eine Idee: „Wir haben für teure Geschenke nicht genug Geld. Ich habe diese Stiefel in einem Secondhandladen gefunden und gekauft. Weisse waren nicht im Angebot. Ich werde dir aber aus dicker weisser Wolle Überzüge für die Schlittschuhe stricken und niemand wird darunter braune Stiefel bemerken.“ Die gestrickten Überzüge waren schnell angefertigt. Sie liessen wirklich nicht erahnen, dass darunter braune Bubenstiefel versteckt waren. Allerdings waren die Bezüge auffällig und dick, dass meine Füsse wie unförmige Klumpen wirkten. Der Traum von der eleganten Eisprinzessin entschwand nun ganz. Ich musste noch ein ganzes Jahr warten bis mein Herzenswunsch in Erfüllung ging. Von da an aber, stand meiner Zukunft als Eisprinzessin nichts mehr im Wege.


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